Martha Nussbaum in Hohe Luft – kompakt über Angst: Nach der schönen Definition von Aristoteles umfasst Angst den Gedanken, dass ein bedeutsamer Schaden droht und man es nicht ganz in der Hand hat, ob man den Schaden abwenden kann, entweder für sich selbst oder andere, um die man sich sorgt. Wie man sieht, gibt es eine Menge Dinge, die bei der Angst falsch laufen können. Man kann falsch darin liegen, ob die Bedrohung überhaupt existiert oder wie groß sie tatsächlich ist. Aristoteles gibt das Beispiel einer Maus, die über den Boden läuft, was keine so bedeutende Bedrohung ist. Angst ist nicht nur ein subkognitiver Vorgang. Sie hat zwar Elemente, die rein physiologisch sind, aber in jeder komplexeren Situation umfasst sie auch kognitive Elemente. Würden wir nur in unserem evolutionären Erbe feststecken, könnten wir die Vorstellung eines Feindes gar nicht bilden. Was sollte das denn sein? Sogar bei den meisten Tieren hat die Angst kognitive Elemente. Ihre Gedanken haben Inhalt, sie haben einen rudimentären Begriff davon, was gut oder schlecht für sie ist. Angst hat einen kognitiven Inhalt – also kann sie auch in die Irre gehen.
Da gehe ich also zu Anti*gidademos in Halle, beide Seiten schreien sich gegenseitig an. Manchmal ist nicht genügend Polizei da und das Ganze ist nicht so ein sicheres Event wie ehemals. In der Goldenen Rose, einem „Gutmenschen“treff, brennt es, später gehen Scheiben zu Bruch. Ich gucke zwei Wochen lang viel Nachrichten. Ich ziehe Vergleiche zu 89. Und plötzlich spüre ich Angst in mir.
Da gibt es Leute die hören von gewaltätigen Demos, die sehen Bilder von schwer gepanzerten Polizisten. Die lesen täglich Zeitung und gucken Nachrichten. Die merken, wie ihre nächsten Freunde und Verwandten zu Leuten werden, die ständig rassistische Witze verschicken. Und plötzlich haben die Angst.
Da gibt es Leute, die hören von Deutschen, die von Türken verdroschen oder abgezogen werden. Sie hören von arabischen Machos, die sich von Frauen nichts sagen lassen. Sie sehen Berichte von Gegenden in Deutschland in denen es fast nur Bewohner mit Migrationshintergrund gibt. Manches davon ist ihnen auch selbst passiert. Sie gucken viel Fernsehen und lesen Bücher von Sarrazin. Und dann haben die Angst.
Dann gibt es noch welche, die sind voll euphorisch, dass gerade so viel passiert, die haben sich mit euphorischen Leuten umgeben. Die sind viel im Wald, die jetten von einem selbstorganisiertem Projekt zum nächsten und erwarten einen rasanten spirituellen Umschwung in höhere Sphären.
Und natürlich noch die rührselige Indianergeschichte von den zwei Wölfen, die in uns kämpfen – der Gute und der Böse. Der erste ist mit Liebe, Freude, Frieden, Hoffnung, Gelassenheit, Güte, Mitgefühl, Großzügigkeit, Dankbarkeit, Vertrauen und Wahrheit unterwegs, der zweite mit Ärger, Neid, Eifersucht, Sorgen, Gier, Arroganz, Selbstmitleid, Lügen, Überheblichkeit, Egoismus und Missgunst. Frage: „Welcher Wolf gewinnt.“ Der, der gefüttert wird.